Hallo und herzlich willkommen zur Episode 11 des Wegs der Stoa.

Heute möchte ich auf die Zuversicht schauen, genauer auf die Frage, ob es so etwas wie eine stoische Zuversicht gibt? Hierzu lohnt es vielleicht zunächst einmal kurz darüber nachzudenken, was „Zuversicht haben“ bedeutet. Der Begriff „Zuversicht“ ist eine Wortschöpfung, welche um das Jahr 1.000 durch den aus der Region des Bodensees stammenden Mönch und Gelehrten Notker, den man den „Deutschen“ nannte, eingeführt wurde. Er übersetzte viele antike Texte und interessierte sich für Philosophie, Astronomie und Musiktheorie. Ihm wird auch die erste Beschreibung seiner eigenen Sprache als „deutsch“ zugeschrieben. Notker beschäftigte sich zu dieser Zeit, welche durch Unheilserwartungen wegen des Jahrtausendwechsels geprägt war, mit Boethius‘ Buch „Der Trost der Philosophie“. Boethius, war ein spätantiker römischer Gelehrter, Politiker und Philosoph, welcher zwischen 480 bis 525 lebte. Er bekleidete am Hofe des Ostgotenkönigs Theoderich hohe Ämter, geriet dann aber in Verdacht, mit öströmischen Anhängern gegen die Herrschaft der Ostgoten intrigiert zu haben. Er wurde aufgrund dieser Vorwürfe verhaftet, verurteilt und zuletzt auch hingerichtet. Sein Buch „Der Trost der Philosophie“ schrieb er in seiner Haft. In diesem Buch beschreibt er einen fiktiven Dialog zwischen ihm selbst und der personifizierten Philosophie. Boethius galt als Neuplatoniker, welcher aber auch stoische Einflüsse in seinem Denken aufwies. Notker wählte Boethius Buch, da dieses ebenfalls in einer Zeit dunkler Erwartungen geschrieben worden war. Als er in Boethius Buch auf den Begriff „spes“ stieß, welcher auch als Erwartung oder Hoffnung übersetzt werden kann, so war „spes“ in der römischen Mythologie die göttliche Personifikation der Hoffnung. Doch wie konnte man in unsicheren Zeiten Hoffnung haben? Dies setzte für ihn zum einen festen Mut voraus, also das Vertrauen auf eigenes Seelenvermögen. Zum anderen brauchte es aber noch etwas anderes, nämlich das Vertrauen auf Gott und dessen Vorsehung für die Welt. Letzteres beschrieb der Begriff „providentia“ dessen direkte Übersetzung aus seiner Sicht in der Form der Wortneubildung  „Zuversicht“ durchgeführt werden konnte. Die „Zuver-Sicht“ zeigte also, wie der Begriff der „pro-videntia“, auf ein Wissen über den guten Weg, den die Welt auch nach schwierigen Zeiten wieder nehmen wird.

Interessant ist hierbei jetzt aus stoischer Sicht, dass der Begriff der „providentia“ die auf Cicero zurückgehende lateinische Übersetzung des griechischen Begriffs „pronoia“ ist, welcher in der stoischen Philosophie für die Fürsorge und Vorausschau des Kosmos stand. Die Stoiker waren davon überzeugt, dass der Kosmos durch die in ihm waltende Kraft des kreativen Feuers, des  „pneuma“ bzw. dem „logos“ also der kosmischen Vernunft, eine gute Entwicklung nehmen würde. Hinweis auf diesen Charakter des Kosmos fanden die Stoiker z. B. in der Schönheit des Kosmos und der Tatsache, dass der Kosmos so eingerichtet ist, dass alle Lebewesen in ihm alles finden, was sie zum Leben benötigen. Wer aus stoischer Perspektive auf die Vorsehung des Kosmos vertraute, vertraute auf die Wirkung der kosmischen Vernunft und auf die im Kosmos gegebene Ordnung. Ein Gedanke, welcher auch dem römischen Kaiser Marc Aurel Zuversicht gab, wie er in seinen Selbstbetrachtungen in Buch 12.14 schreibt:

„Entweder herrscht der Zwang des Verhängnisses und eine unverbrüchliche Ordnung oder eine gütige Vorsehung oder ein sinnloses Chaos ohne eine lenkende Macht. Wenn ein  unverbrüchlicher Zwang, was sträubst du dich da? Wenn aber eine Vorsehung, die der Versöhnung zugänglich ist, dann erweise dich selber der göttlichen Hilfe würdig. Wenn aber  ein Wirrwarr ohne lenkende Macht, dann sei froh, daß du in solchem Wogenschwall in dir selber einen lenkenden Geist besitzest! Und wenn dich der Wogenschwall fortreißt, dann  mag er das elende Fleisch, das bißchen Lebenshauch und das übrige fortreißen. Denn deinen Geist wird er nicht fortreißen!“.

Marc Aurel erscheint in dieser Passage nicht ganz sicher zu sein, ob er von einer Vorsehung des Kosmos ausgehen darf. Daher tröstet er sich damit, dass er entweder in seinem Handeln einem „Zwang des Verhängnisses“ ausgesetzt ist oder aber, wenn er im Chaos lebe, dann doch immerhin in seinem Inneren „einen lenkenden Geist“ besitzt. Wenn es aber eine Vorsehung gebe, dann ermahnt er sich, solle er sich dieser auch würdig erweisen. Letzteres bedeutete aus stoischer Perspektive, dass ich als Mensch versuchen sollte, meinen inneren lenkenden Geist in Übereinstimmung mit dem Kosmos zu bringen, was dem stoischen Ziel „des Lebens in Übereinstimmung mit der Natur“ entspricht.

Diese Gedanken Marc Aurels klingen sehr modern, da er sich dem Gedanken einer Vorsehung nicht einfach zuwenden kann, auch wenn man spürt, dass er dies gerne tun würde. Man könnte sagen, dass er versucht zuversichtlich zu bleiben und sich auf den Gedanken der Vorsehung dahingehend einlässt, dass er das Vertrauen auf seinen inneren lenkenden Geist auf jeden Fall als beste Haltung für sich ansieht. Dies begründet er für sich damit, dass ihm diese Haltung auch helfen würde, wenn die Welt durch Chaos beherrscht werden würde. Hier klingt wieder der Gedanke der inneren Burg an, welcher bei Marc Aurel an anderer Stelle zu finden ist. Man könnte dies auch so ausdrücken, dass Marc Aurel versucht, seine Zuversicht aus seiner innerer Klarheit und Festigkeit zu gewinnen, ein Gedanke, der uns in unsicheren Zeiten nicht fremd erscheinen wird.

Doch ist das alles, was uns die Stoiker im Hinblick auf die Frage nach innerer Zuversicht vermitteln können. Der Blick auf den Kosmos und der hiermit verbundene abstrakte Glaube an eine kosmische Vernunft oder aber das Vertrauen auf eine feste innere Burg, welche uns innerlich sicher sein lässt, egal welche Stürme uns im Außen umgeben?

Ich glaube, die Stoa kann uns hier noch etwas anderes geben und spannenderweise habe ich diese Idee nicht aus einem stoischen Text sondern aus einem Lied entnommen. Es handelt sich hierbei um den Song “Seasons” von Rhys Lewis aus dem Jahr 2021. In diesem Lied findet sich folgender Text:

We all go through seasons

We’re changing all the time
It can’t always be Summer
Even in July
So however cold you’re feeling
However grey your mind
Spring will be here soon
It’s okay to be blue
We all go through seasons

You don’t judge a lake for freezing over
You don’t curse the leaves for turning brown
And you don’t blame the days for getting shorter
So why’d you blame yourself for getting down?”

Sowie in der zweiten Strophe:

“Blinded by the rain, it’s hard to picture
The day that you’ll see blossom on the ground
But try to keep your faith warm in the winter
And trust that there’s a sun above the clouds

And soon they’ll be light in the shadows
Where flowers are waiting to grow
And I know that the darkness is lonely
But remember you’re not on your own
We all go through seasons”

Als ich das Lied das erste Mal hörte, war ich sofort von seinem zuversichtlichen Ton gefangen. Beim Hören des Textes war ich dann aber wie vom Donner gerührt, da sich mir durch den Text ein neuer Blick auf eine besondere Form einer stoischen Zuversicht eröffnete. Hier ist es vor allem die Passage:

„You don’t judge a lake for freezing over

You don’t curse the leaves for turning brown

And you don’t blame the days for getting shorter”,

die mich sehr berührte. Der Gedanke, dass alles in der Welt sich entsprechend seiner Natur verändert und diese Veränderung kein Werturteil nach sich ziehen sollte, schien mir eine wunderbare Übersetzung des stoischen Ziels „des Lebens im Einklang mit der Natur“ zu sein. Warum sollte man auch einen See verurteilen, weil er einfriert, Blätter verfluchen, weil sie braun werden oder aber die Tage dafür beschuldigen, dass sie kürzer werden? Ein See, Blätter und Tage „tun“ dies einfach, da es ihre Natur ist.

Wenn wir jetzt die stoische Zielvorstellung eines gelingenden Lebens in ihrer längeren, auf Chrysipp zurückgehenden Formulierung als:

„das Leben in Übereinstimmung mit der Natur, in Übereinstimmung mit der Erfahrung von dem Leben, was sich von Natur aus ereignet“

betrachten, so finden wir hier exakt diese Perspektive, welche wir im Lied von Rhys Lewis hören können. Übertragen wir diesen Gedanken jetzt noch auf uns selbst, so formuliert Rhys Lewis diesen Gedanken wie folgt:

“We all go through seasons

We’re changing all the time
It can’t always be Summer
Even in July
So however cold you’re feeling
However grey your mind
Spring will be here soon
It’s okay to be blue”

sowie abschließend zu diesem Gedanken noch den Satz:

“So why’d you blame yourself for getting down?”.

Das Lied ist für mich ein wunderschöner Ausdruck einer stoischen Zuversicht, welche sich aus der Einsicht in unsere individuelle Natur speist. Diese Zuversicht fordert uns dazu auf, dass wir uns selbst, so wie die uns umgebende Welt, ohne Wertung anschauen und erkennen, was es heißt, Mensch zu sein. Dies bedeutet, dass wir in unserem „in der Welt sein“ schwanken können, dass wir aber ebenso immer wieder festen Boden unter unseren Füßen finden werden. Manchmal wird es etwas dauern und manchmal werden wir Umwege gehen, aber irgendwann ist der Winter vorbei und der Frühling und der Sommer kehren in unser Leben zurück. Warum? Weil wir so sind, wie wir sind, und weil die Welt so ist, wie sie ist.

Mit diesem Gedanken sage ich für heute: „Bis bald, soweit das Schicksal es zulassen wird.“

Shownotes:

Marc Aurel, Selbstbetrachtungen (Kröner Verlag):

https://www.kroener-verlag.de/details/product/selbstbetrachtungen/

„zûuersiht und was sie ist“, Erkundungen auf einem alten Wortfeld von Ulrich Grober:

https://www.dietrich-bonhoeffer.net/fileadmin/media/news/faz_zuversicht.pdf

Rhys Lewis, Seasons

https://genius.com/Rhys-lewis-seasons-lyrics